Teil 1.4, Schule: Sinn und Zweck


Die kurze Begriffserklärung zu "Schule", wie sie in Folge 3 gegeben wurde, reicht nicht aus, um die Rolle der Schulen einer neuen Lernkultur zu erfassen.
Schon im ursprünglichen Begriff (das altgriechische "schole" = Muße) lässt sich eine klare Unterscheidung zwischen "lernen" und "arbeiten" erkennen. Auch die (gesellschaftliche) Einsicht und das Bestreben, dem Lernenden die Zeit zuzubilligen, die er für seine Absicht, etwas Bestimmtes zu lernen braucht, lässt sich daraus ableiten. Wir sollten hier nicht außer Acht lassen, dass dieser Begriff von einer (sehr frühen) Gesellschaft aufgrund der in ihr herrschenden Praxis geprägt wurde. Es war eine von Herrschenden geformte Gesellschaft, die Pädagogen als Sklaven (d.h. unfreier Slawe) hielt.
Und wir sollten nicht vergessen, dass zur Zeit, da dieses Wort in unsere Sprache aufgenommen wurde, in unserer Gesellschaft Kinderarbeit durchaus zum Alltag gehörte. Der Grundgedanke "Muße dem Kinde!" war also durchaus eine unerhörte Erneuerung und gewaltiger Fortschritt zur Humanität.
Schule wie wir sie heute kennen, besteht erst seit wenigen hundert Jahren und geht - zumindest in Österreich - auf Kaiserin Maria Theresia zurück. Sie erkannte wohl das Potential der Jugend und ihren Wert für das Wohlergehen des ganzen Volkes und verfügte Unterrichtspflicht und Schulpflicht.


Schulpflicht oder Unterrichtspflicht?


Der erste Begriff, Unterrichtspflicht, wird gemeinhin übersehen; und der zweite, die Schulpflicht, wird im Allgemeinen missverstanden.
Die Unterrichtspflicht bestimmte, dass Kinder vom vollendeten sechsten bis zum vollendeten zwölften Lebensjahr zum Zweck des Unterrichts von Arbeitsleistungen befreit sind - ihnen wurde also "Muße zum Lernen" verordnet, Kinderarbeit war jedoch nicht untersagt worden.
Die Schulpflicht bestimmte, dass der Staat Einrichtungen stellt, die der Allgemeinheit (also "dem gemeinen Volke", der Öffentlichkeit) kostenlosen Unterricht ihres Nachwuchses leistet. Der Nachwuchs der "Edlen" jener Zeit besuchte nie solche öffentlichen Schulen, sondern wurde entweder von Hauslehrern oder in konfessionellen Schulen unterrichtet, und dies bedeutend länger als die verordneten sechs Jahre.
Auch heute noch (im Jahre 2016) gilt - zumindest in Österreich und vielen Staaten dieser Welt - diese Regelung im Wesentlichen. Das heißt im Klartext, dass der Staat (ausgenommen ein kommunistischer) keine Familie verpflichten kann, ihren Nachwuchs in einer öffentlichen Schule unterrichten zu lassen, solange sie der Unterrichtspflicht ihrer Kinder nachkommt. Wie sie diese Pflicht erfüllt, bleibt ihr überlassen, solange das (vom Staat) für öffentliche Schulen festgesetzte Lehrziel erreicht wird.
Es ist egal, ob Mutter, Vater, Geschwister, ein Privatlehrer oder jede beliebige Einrichtung den Unterricht erteilt. Der Staat ist - auch nach den jetzt geltenden Gesetzen - nur verpflichtet zu prüfen, ob die Unterrichtspflicht gemäß den geltenden Lehrplänen erfüllt wird. Nur in Extremfällen, wenn erwiesen ist, dass diese Pflicht vernachlässigt worden ist, kann verfügt werden, dass die betroffenen Kinder in einer Schule mit Öffentlichkeitsrecht unterrichtet werden.

Wesentlicher Zweck der Schule


Eine neue Lernkultur versteht Schule als eine sehr sinnvolle gesellschaftliche Entwicklung mit großem Wert. Eine Gesellschaft kann sich im Grunde nichts Wertvolleres wünschen, als nachwachsende Generationen so zu bilden, dass jeder junge Mensch die größtmögliche Chance auf ein erfülltes und glückliches Leben hat. Das kann nur auf solider, tragfähiger Allgemeinbildung aufgebaut werden.
Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unsere Zeit sind mit denen der ersten Einrichtung von öffentlichen Schulen überhaupt nicht vergleichbar. So bestimmten z.B. die Parlamente, dass Lehrziele angepasst und die Unterrichtspflicht bis zum vollendet 15. Lebensjahr verlängert wurden. Das erscheint durchaus sinnvoll - womit aber nichts darüber ausgesagt wird, ob das, was in diesen 9 Jahren die Jugend durch die staatlich festgesetzten Lehrpläne gelehrt wird, gleichermaßen sinnvoll erscheint.
Es ist klar lebensfreundlich, dass eine Volksgemeinschaft die Sorge um die Bildung des Nachwuchses gemeinschaftlich auf Schultern trägt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Entwicklung der öffentlichen Schule den Erwartungen und Forderungen einer neuen Lernkultur entspricht. Aus Sicht einer neuen Lernkultur ist das Persönlichkeitsrecht eines jeden zum Unterricht verpflichteten Kindes bedeutend höher zu werten, als ideologische Parteiprogramme. Es ist deshalb mit einer neuen Lernkultur unvereinbar, dass ganze Generationen in ideologisch geprägten Schulversuchen, die auf keinerlei pädagogischen Befunden ruhen, als "Versuchsmenschen" missbraucht werden.
Ebenso unvereinbar ist es, dass die von der Öffentlichkeit finanzierte Ausbildung des Lehrpersonals für öffentliche Schulen statt von einer soliden pädagogischen Grundausbildung, von einer Indoktrination "psychologischer" und "soziologischer" Theorien und Thesen geprägt ist.
Obwohl es durchaus verständlich ist, dass zu Zeiten der Einführung von öffentlichen Schulen der Gedanke, dass diese den Auftrag erhielten, "gute Staatsbürger und nützliche Glieder der Gesellschaft" heranzubilden, sieht eine neue Lernkultur einen anderen Auftrag als viel wesentlicher. Um dies zu verdeutlichen, muss der Blick ein bisschen in die Vergangenheit gerichtet werden.
Der Staat war zu jener Zeit im Wesentlichen "das Unternehmen einer Familie" - eben der monarchischen Familie, die "ihr Volk", in gewisser Hinsicht als ihr Eigentum betrachtete. In Anbetracht dieses Umstandes war es ganz gewiss ein großes Umdenken, im Volk, das im Unterschied zu den landwirtschaftlichen Produkten gewissermaßen von selbst nachwächst, mehr als ein Produkt des Landes zu sehen, nämlich eine wertvolle Ressource, die einen gewissen Pflegeaufwand verdient. Weil solcher Pflegeaufwand als Kostenfaktor im Haushalt aufscheint, musste er natürlich einen Nutzen erbringen. Diesen Nutzen sah man offenbar im "gebildeten Staatsbürger und nützlichen Glied der Gesellschaft".
Über die folgenden Jahrhunderte blieb diese Aufgabenstellung im Wesentlichen unverändert und scheint in etwas verändertem Wortlaut auch in den heute, im Jahre 2016, geltenden Schulgesetzen noch auf.
Für eine wahrhaft demokratische Gesellschaft scheint eine solche Zielsetzung zwar nicht gerade verdammenswert, aber dennoch zweifelhaft, wenn man bedenkt, in welcher Weise sich das Interesse des Volkes von dem eines autokratischen Herrschers unterscheidet.

Zweck der Schule aus lernkultureller Sicht


Eine neue Lernkultur sieht die Aufgabenstellung für die öffentliche Schule darin, den Familien mit ihrem Nachwuchs die bestmögliche Unterstützung darin zu leisten, den heranwachsenden Menschen zu helfen, in ein glückliches und erfülltes Leben hinein zu wachsen und sich entsprechend zu entfalten. Interessanter Weise hat die deutsche Sprache kein geeignetes Wort, welches die Fähigkeit zum Glücklichsein benennt.
Ich sehe mich deshalb veranlasst, ein neues Wort dafür zu prägen und schlage auf folgender Überlegung dafür "Felizität" vor:
Wohl die meisten Menschen kennen den Namen "Felix" (der im Lateinischen "der Glückliche" wie auch "der Glücksbringer" bedeutet), ohne vielleicht sich seiner Bedeutung bewusst zu sein. Das Grundwort für die besprochene Fähigkeit soll deshalb "Felix" sein.
Das, was ich als "die Fähigkeit zum Glücklichsein" bezeichnen möchte, soll "Felizität" heißen; ich will ich es so benennen, weil dieses Wort nach den Regeln der Wortbildung genau das bezeichnet: Die Fähigkeit zum Glücklichsein.
Aus Sicht einer neuen Lernkultur sollte der Auftrag an die Schule also lauten:

"die Felizität der Kinder und Heranwachsenden zu fördern und zur dauerhaften Entfaltung zu bringen".

Diese Zielsetzung ruht (philosophisch) auf der aus beobachtbaren Tatsachen wachsenden Einsicht, dass der Mensch (d.h. jeder Mensch!) mit dem höchsten Potential an Felizität geboren wird, und dass dieses Potential im Lauf des Lebens unter den üblichen Bedingungen spätestens mit dem Schuleintritt zu schwinden beginnt.
Vermutlich wird es kaum einem Menschen bei Rückschau auf seine eigene Entwicklung schwer fallen zuzustimmen, dass die Begeisterung (das hat viel mit Glücklichsein zu tun!) für den Eintritt in die Schulbildung ihren Höchststand hatte, und von da an fast nur noch Schwund erfuhr. Dafür mag es Hunderte Erklärungen geben ... aber sie alle gehen im Wesentlichen nur davon aus, dass es einfach Teil des Lebens sei, "zurechtgestutzt" zu werden.
Eine neue Lernkultur kann dies nicht anerkennen und gelten lassen. Für eine neue Lernkultur gilt als unveräußerliches Geburtsrecht eines jeden Menschen das Recht auf Glücklichsein. So wie "die Schulbildung" bislang wie selbstverständlich den Anpassungsprozess zum "Normalmenschen" (mit nur geringer Felizität) vorantreibt, kann nicht die Rede sein, dass jemand dieses Recht erkennen und achten würde. Viel eher scheint man das "Recht auf Normentsprechung" als Motivation und Maßstab für die Unterrichtsgestaltung zu erachten.
Die (öffentliche) Schule einer neuen Lernkultur muss diese Fähigkeit zum Glücklichsein nicht bloß erhalten, sondern als obersten Auftrag ihres Wirken zur vollen Blüte und Reife bringen. Das beinhaltet natürlich auch die Vermittlung von Verständnis, worin Felizität besteht, was sie fördert und wodurch sie gemindert wird. "Dauerhafte Entfaltung" kann nur der aus der Bildung in die Selbstbestimmtheit entlassene Mensch (d.h. der emanzipierte Mensch) für sich selbst gewährleisten.
Ein glücklicher Mensch ist von sich aus produktiv, verantwortungsbewusst, interessiert, sozial und einsatzbereit. Er kann nicht anders, als "guter Staatsbürger und nützliches Glied der Gesellschaft" sein.
"Glücklichsein" muss also vor dem "Staatsbürger" und dem "nützlichen Glied" rangieren.

Lehrpläne und Schulreformen


Ein weiterer Aspekt der Schule unserer Zeit verdient aufmerksame Beachtung: Es gilt (durch entsprechende Propaganda genährt) als Gegebenheit, dass die öffentlichen Schule den "Interessen der Wirtschaft zu dienen habe". Diese "Abweichung vom vernünftigen Weg" scheint mit einer der wesentlichen Gründe für die Überfrachtung der Lehrpläne und unsinniger Schulversuche zu sein. Vater dieses Verlangens ist der Gedanke, dass der junge Mensch gar nicht früh genug auf seine "Rolle im wirtschaftlichen Leben" eingestimmt werden könnte.
Den Vertretern solcher Forderungen muss die Erfahrung mit wahrhaft glücklichen Menschen völlig fremd sein: Der wahrhaft glückliche Mensch wird zwar kein willfähriger Roboter sein, ist aber mit Gewissheit ein verantwortungsbewusstes, interessiertes, lernfähiges und lernwilliges Individuum.
Nur ein Mensch, der vom Glücklichsein weit herabgesunken (oder herabgedrückt) ist, braucht äußeren Anreiz für das Lernen, für die Leistung und für die Gewissenhaftigkeit. Auf halben Weg zur Apathie mag Belohnung noch so ein Anreiz sein, noch etwas näher zur Apathie hin mag die Angst vor Bestrafung solch ein "Anreiz" sein, doch im Bereich der Apathie wird die Todesstrafe eher willkommen sein als die Angst vor ihr Kräfte mobilisieren könnte.
Gewiss, dies scheinen eher philosophische Betrachtungen zu sein, sie sind aber der praktischen Realität bedeutend näher als die große Masse der politischen Überlegungen zu Schulreformen.
Aus meiner Sicht liegt der wahre Grund für die offensichtliche Hilflosigkeit bei den Bestrebungen zu Schulreformen in den überwältigenden Erfahrung mit unglücklichen Menschen (- die heutzutage als normal gelten,) und im völligen Mangel an Vorstellungskraft, wessen der glückliche Mensch fähig ist, und überhaupt dessen, was ein wahrhaft glücklicher Mensch ist.
Man hat völlig vergessen, wie leicht ein Kind glücklich ist und übersieht völlig, welche Rolle herkömmliche Erziehung und üblicher Unterricht dabei spielen, den "Typ von Menschen" hervorzubringen, von dem all die unsinnigen Versuche, Theorien und (vermeintlichen) Abhilfen ausgehen.

Energie und Lernen


Eine neue Lernkultur bringt einen weiteren Aspekt in die Rolle der Bildung, nämlich eine erweiterte Betrachtung des Begriffes Energie. Neue Lernkultur sieht in der Bildung vordergründig auch eine Funktion der "Energiegewinnung".
Bevor Sie als "normal gut gebildeter Mensch" jetzt einen Aufschrei loslassen "Energie kann doch nicht erzeugt werden!", gewähren Sie mir bitte ein paar Minuten zur Darlegung einer neuen Betrachtung.

Energie ist allgemein und physikalisch betrachtet die "Fähigkeit, Arbeit zu leisten". Eine andere Betrachtung bezeichnet Energie als "gespeicherte Arbeit" - (denken Sie an einen sogenannten Speichersee, der mit überschüssiger Energie vollgepumpt wird, um bei späterem Bedarf zusätzliche Turbinen zur "Energieerzeugung" zu treiben). In beiden Fällen gilt das physikalische Grundprinzip vom Erhalten der Energie, dem zufolge Energie nur gewandelt, aber weder erzeugt noch vernichtet werden kann. Soweit so gut - dies ist die physikalische Betrachtung.
(Hat aber nicht auch die Physik vor nicht allzu langer Zeit eine Menge ihrer "unveränderlichen Gesetze" revidieren müssen?)
Im Leben und für den Menschen ist Energie die Fähigkeit, etwas Erwünschtes (als Ziel, Vorhaben oder Aufgabe Vorhandenes) zu bewirken.
Unbestreitbar ist mit dem Bewirken solche Dinge Arbeit verbunden ... diese Definition von Energie widerspricht also gar nicht der anerkannten (physikalischen) Definition.
Aber - ist damit in jedem Fall "Arbeit" im physikalischen Sinne verbunden?
Wie steht es um die "Arbeit" z.B. eines Schriftstellers, der in Millionen von Menschen eine Veränderung ihrer Einstellung bewirkt? Oder der eines Malers, der unzählige Menschen in Staunen und Bewunderung versetzt? Kann solche "Arbeit" in Joule oder Kilowattstunden gemessen werden? Gewiss nicht; trotzdem ist hier unleugbar Energie am Werk!
Worin besteht dann die Energie, die diese "Arbeitsleistung" ermöglichte? Teil davon ist gewiss zum Beispiel die Fähigkeit, Gedanken in packende Worte zu kleiden, oder Empfindungen in ein Bild zu legen. Teil davon ist gewiss auch das Wissen und die Kenntnisse, aus denen die Gedanken und Ideen erwuchsen. Es gibt bestimmt noch einige weitere Faktoren, die mit physikalischen Größen nicht erfasst werden können - es handelt sich um geistige Qualitäten. Die wirklich kritische Frage lautet hier:
Können Fähigkeiten, kann Wissen oder Kenntnis erweitert werden? Und wenn diese "Größen" erweitert werden - muss dann genau so viel (oder wegen der unvermeidlichen Verluste mehr) Energie "hineingesteckt" werden, als danach wirksam werden kann?
Es kommt mir hier nicht auf die mathematische Beweisführung an, sondern einfach nur auf die sorgfältige Betrachtung.
Gewiss wird man zum Schluss kommen, dass mit erweiterten Fähigkeiten, Wissen und Kenntnissen mehr bewirkt werden kann, als mit begrenzten (Fähigkeiten, Wissen und Kenntnissen). Was erweitert diese Dinge oder wodurch werden sie erweitert?
Die einfache - aber vielleicht überraschende - Antwort lautet:
Lernen schafft mehr Fähigkeit, mehr Wissen und mehr Kenntnisse, indem es ihr Wachstum bewirkt.
Wachstum an Wissen und Fertigkeit ist Zunahme der Fähigkeit, Erwünschtes zu bewirken, also Mehrung von Energie; und weil effektives (also: wirksames) Lernen dieses Wachstum bewirkt, erzeugt effektives Lernen wahrhaftig neue Energie.
Es besteht ein unwiderlegbarer Zusammenhang zwischen dieser Energie und der Fähigkeit zum Glücklichsein. Er ist leicht praktisch demonstrierbar:
Helfen Sie einem Menschen, irgend etwas richtig zu lernen, und Sie haben einen glücklicheren Menschen vor sich!