28.04.17: Lernkunde: Eine Einführung
Im Jahr 1978 prägte ich das Wort "Lernkunde" als Bezeichnung für ein Wissensgebiet, das erstaunlicherweise sowohl in der Alltagssprache als auch von den etablierten Wissenschaften völlig ignoriert worden ist. Zu jener Zeit fand ich dieses Wort in keinem der verfügbaren Lexika und Wörterbücher - aber ich sah deutlich die abträglichen Folgen der Tatsache, dass es dieses Wissensgebiet offenbar nicht gab.
Die akademische Psychologie befasst sich zwar (angeblich) mit dem Lernen, sie liefert aber kaum in der Praxis brauchbare Ergebnisse - zumindest kam ich im Zuge meines Pädagogikstudiums und in der darauf folgenden Praxis zu dieser persönlichen Einsicht. Wie sie in Form einer "Schulpsychologie" einen festen Platz im Bildungssystem erringen konnte, war mir völlig schleierhaft, bis ich erkannte, was ihr wirklicher Auftrag ist:
Sie blendet im Grunde jenes "wollende (menschliche) Wesen" völlig aus, das aus eigenem Interesse und zum eigenen Nutzen lernen will. Worauf sie sich hingegen kapriziert, sind Diagnose, Methode und Verfahren, um Menschen dahingehend zu beeinflussen, dass sie (etwas ihnen Vorgesetztes) "lernen", indem sie sich fügen. Dass sie für diesen Zweck auch (pharmazeutische) Drogen fördert, finde ich entsetzlich.
In meiner Arbeit ab 1977 (nach meinem Pädagogik-Studium) ging es mir aber ganz und gar nicht darum, Kinder und Jugendliche dahingehend zu beeinflussen, ihre Lebensenergie für etwas einzusetzen, dessen Sinnhaftigkeit ihnen verschlossen bleibt. (Diese Einstellung sollte im Lauf meiner weiteren Tätigkeit noch sehr heftig bestraft werden!)
Warum sollten junge Menschen ihre Energie jenen Dingen verweigern, die ihnen sinnvoll, interessant und des persönlichen Einsatzes lohnend erscheinen? Persönliches Interesse (samt der damit einhergehenden Einsatzbereitschaft) darf doch nicht durch Konkurrenz zu Forderungen von außen, deren Sinnhaftigkeit nicht eingesehen werden kann, entwertet werden! Doch genau dies geschieht durch diktierte "Werte", die dem Wesen nicht verständlich sind.
Natürlich will ich damit nicht sagen, dass die durch Schulunterricht den Kindern nahe zu bringenden Gegenstände (Wissensgebiete) nicht sinnvoll oder gar nutzlos wären. Was aber dem wachen Auge eines Beobachters nicht verborgen bleiben kann, ist diese erschreckende Tatsache:
Die herrschenden (praktizierten, "vorgeschriebenen") Methoden der Darbietung (und Strukturen der Lehrpläne) zerstören das Interesse, die Einsatzbereitschaft und den Leistungswillen der jungen Leute, denen sie angeblich nützen sollen.
Nur jene, die sich - letztlich! - apathisch fügen, kommen gut durch und erhalten "gute Zeugnisse" für ihre "Leistungen". Die anderen, denen das eigene Potential an Interesse, Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit wichtiger ist als ihre Anpassung an (anscheinend sinnlose) Forderungen von außen, gelten als Versager oder Verweigerer.
Diese anderen verwirken gewissermaßen selbst ihre "Chancengleichheit": Sie entbehren ja der dazu erforderlichen Allgemeinbildung - darauf hat man sich geeinigt.
Und natürlich gibt es auch den relativ kleinen Teil derer, die - dank günstiger Umstände! - trotz des allzu oft unterdrückenden Einflusses tatsächlich lernen im Sinne von "gescheiter und fähiger werden".
Diese frühen Erfahrungen ließen bald die Erkenntnis in mir reifen, dass unsere Bildungssysteme generell einer tragfähigen Lernkultur entbehren. Lernkultur verstand ich als eine "Kultur des Lernens" ebenso wie eine "lernende Kultur" - und wenn es gelingt, so eine Kultur zu errichten, dann wird sie auf Lernkunde unmöglich verzichten können.
"Lernkunde" will nichts anderes vermitteln als praktisch brauchbares Wissen darüber, wie wir Menschen lernen - das heißt, was wir tun, wenn wir uns in einem bestimmten Bereich kundiger machen wollen.
Dabei geht es nicht bloß darum, wie Kinder lernen, aber Kinder bieten wohl das fruchtbarste "Beobachtungsfeld", weil sie in den ersten vier bis fünf Lebensjahren im Grunde nichts anderes tun als permanent zu lernen. Fast jedes 6-jähriges Kind ist begierig, in die Schule zu kommen, um noch viel mehr zu lernen. Bei den meisten 10-Jährigen ist - in unserem Bildungssystemen - von diesem Eifer, dieser Begierde und Einsatzbereitschaft kaum etwas übrig geblieben.
"Kundig sein" bedeutet ja "im Besitz von Wissen über eine oder Kenntnis zu einer Sache sein". Das Grundwort zum heutigen Adjektiv (Eigenschaftwort) "kundig" ist das ältere (Zeit-) Wort "kund" (verwandt mit "künden"), was früher so etwas wie "bekannt machen", doch eigentlich "zu kennen und zu wissen geben" bedeutete. Heute finden wir dieses Wort nur mehr in Verbindungen wie "Kundmachung" oder "etwas kund tun".
Das Substantiv (Hauptwort) "Kunde" bezeichnet das bekannte Wissen um jene Sache, von der die Kunde handelt, um es als Unterrichtsgegenstand weiter zu vermitteln.
Wir kennen viele mit "Kunde" zusammengesetzte Wörter; z.B. geht es in der "Sachkunde" um sachliches Wissen. Die "Heimatkunde" vermittelt Wissen um die Heimat; die "Warenkunde" vermittelt (in der Ausbildung zum Kaufmann) z.B. Wissen um Handelswaren; "Arzneipflanzenkunde" lehrt uns Wissenswertes um Pflanzen mit Heilwirkung, und so weiter.
(Nebenbei: "Mathematik" heißt wörtlich übertragen auch "Lernkunde", aus dem altgriechischen "mathema techne" – nämlich die "Kunst (etwas) herauszufinden") .
Demnach prägte ich das Wort Lernkunde als Bezeichnung des aus Beobachtung des Menschen gewonnene und, weil allgemein gültig, vermittelbare Wissen über die mentalen (geistigen) Vorgänge beim Lernen, über Anlagen und Kräfte des Menschen, sowie über die geistigen Gesetze, die sein Wachstum an Wissen und Können bestimmen, samt den daraus ableitbaren Regeln für Studium und Unterricht.
Für mich war dabei von wesentlicher Bedeutung, in Lernkunde als Unterrichtsgegenstand ganz klar und verständlich zu definieren, was (nicht nur mit der Fachbezeichnung "Lernkunde", sondern vor allem) mit dem Wort "lernen" gemeint ist.
Der Herkunft eines Wortes nachzuforschen wird also allemal dazu beitragen, einen besseren (d.h. stabileren, besser fundierten) Begriff zum Wort zu bekommen.
Befragen wir die Etymologie (Herkunft) des Wortes "lernen", dann finden wir im Grunde heraus, für welche ursprüngliche Idee es geprägt worden ist. Im Mittelhochdeutschen (um 1200, also ungefähr die Zeit des Mittelalters) verwendete man für die Tatsache "ich bin dabei etwas zu erfahren, ich bekomme gerade etwas zu wissen" eine Form des heutigen Wortes "lernen"; man sagte damit also eigentlich: "Ich werde (gerade) wissend". Betrachten wir diesen Gedanken direkt aus der Sicht des Geschehens, dann finden wir heraus, dass wir mit der Personalform "ich lerne" eigentlich sagen "ich werde gescheiter, ich verbessere mich, ich vermehre meine Kenntnisse und Fertigkeiten".
Wir bezeichnen damit also eine individuelle Veränderung in Richtung auf etwas (von einem selbst) Erwünschtes hin. Es sollte offensichtlich sein, dass diese Bedeutung gar nichts darüber aussagt, wie, auf welche Art und Weise, mit Hilfe welcher Mittel, unter welchen Umständen diese Veränderung vor sich geht. Und es sollte auch offensichtlich sein, dass dieses Wort im Grunde keinen Imperativ (keine Befehlsform, "lerne!") kennt.
Einem Kind aufzutragen "lerne!" ist im Grunde genau so unsinnig wie ihm aufzutragen "wachse!", "verdaue!" oder "altere!"
Die gesamte Lernkunde betrachtet alles mit "lernen" Bezeichnete in dieser "angepassten Urbedeutung" und fasst "lernen" ausschließlich als auf das selbstbestimmt lernende Individuum bezogen auf.
Lernkunde dient also vorrangig dem besseren Verständnis aller Menschen, die mit Lernenden zu tun haben, aber auch dem Lernenden selbst, wenn ihre Erkenntnisse in Erziehung und Unterricht sachgerechten Einzug finden. (Beachten Sie dazu bitte in meinem "pädagogisches Manifest", besonders die Folgen 2, 7 und 8!)
In weiter folgenden Artikeln werde ich schrittweise tiefer in die Materie der Lernkunde eindringen. Ich möchte aber vorausschicken, dass Sie mit allen späteren, auf dieser Einführung aufbauenden, Artikeln möglicherweise auf Schwierigkeiten im Verständnis stoßen werden, wenn Sie die hier behandelten Grundlagen nicht wirklich verarbeitet haben.
Sie würden dann vermutlich mit Begriffen operieren, die aus anderen Quellen - vorrangig aus der modernen "akademischen Psychologie" - stammen und weder mit Lernkultur noch mit Lernkunde kompatibel sind. Deren Definition verhindert den klaren Blick auf eine der natürlichsten Sachen unserer Welt, das menschliche Lernen, aus einem sehr plausiblen Grund, der sich aus dem Selbstverständnis der Psychologie ableitet: Die moderne Psychologie versteht sich als die
Der Rolle der modernen Psychologie im Bereich der modernen Bildungssysteme habe ich 1996 die Streitschrift "Spannungsfeld Schule zwischen Lernkultur und Machtmissbrauch" gewidmet. Ihre Lektüre kann sich für Sie durchaus lohnen, wenn Sie Sorgen um den Schulerfolg Ihrer Kinder quälen!
Lernpsychologie?
Die akademische Psychologie befasst sich zwar (angeblich) mit dem Lernen, sie liefert aber kaum in der Praxis brauchbare Ergebnisse - zumindest kam ich im Zuge meines Pädagogikstudiums und in der darauf folgenden Praxis zu dieser persönlichen Einsicht. Wie sie in Form einer "Schulpsychologie" einen festen Platz im Bildungssystem erringen konnte, war mir völlig schleierhaft, bis ich erkannte, was ihr wirklicher Auftrag ist:
Sie blendet im Grunde jenes "wollende (menschliche) Wesen" völlig aus, das aus eigenem Interesse und zum eigenen Nutzen lernen will. Worauf sie sich hingegen kapriziert, sind Diagnose, Methode und Verfahren, um Menschen dahingehend zu beeinflussen, dass sie (etwas ihnen Vorgesetztes) "lernen", indem sie sich fügen. Dass sie für diesen Zweck auch (pharmazeutische) Drogen fördert, finde ich entsetzlich.
Sinnhaftigkeit und Energie
In meiner Arbeit ab 1977 (nach meinem Pädagogik-Studium) ging es mir aber ganz und gar nicht darum, Kinder und Jugendliche dahingehend zu beeinflussen, ihre Lebensenergie für etwas einzusetzen, dessen Sinnhaftigkeit ihnen verschlossen bleibt. (Diese Einstellung sollte im Lauf meiner weiteren Tätigkeit noch sehr heftig bestraft werden!)
Warum sollten junge Menschen ihre Energie jenen Dingen verweigern, die ihnen sinnvoll, interessant und des persönlichen Einsatzes lohnend erscheinen? Persönliches Interesse (samt der damit einhergehenden Einsatzbereitschaft) darf doch nicht durch Konkurrenz zu Forderungen von außen, deren Sinnhaftigkeit nicht eingesehen werden kann, entwertet werden! Doch genau dies geschieht durch diktierte "Werte", die dem Wesen nicht verständlich sind.
Natürlich will ich damit nicht sagen, dass die durch Schulunterricht den Kindern nahe zu bringenden Gegenstände (Wissensgebiete) nicht sinnvoll oder gar nutzlos wären. Was aber dem wachen Auge eines Beobachters nicht verborgen bleiben kann, ist diese erschreckende Tatsache:
Die herrschenden (praktizierten, "vorgeschriebenen") Methoden der Darbietung (und Strukturen der Lehrpläne) zerstören das Interesse, die Einsatzbereitschaft und den Leistungswillen der jungen Leute, denen sie angeblich nützen sollen.
Nur jene, die sich - letztlich! - apathisch fügen, kommen gut durch und erhalten "gute Zeugnisse" für ihre "Leistungen". Die anderen, denen das eigene Potential an Interesse, Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit wichtiger ist als ihre Anpassung an (anscheinend sinnlose) Forderungen von außen, gelten als Versager oder Verweigerer.
Diese anderen verwirken gewissermaßen selbst ihre "Chancengleichheit": Sie entbehren ja der dazu erforderlichen Allgemeinbildung - darauf hat man sich geeinigt.
Und natürlich gibt es auch den relativ kleinen Teil derer, die - dank günstiger Umstände! - trotz des allzu oft unterdrückenden Einflusses tatsächlich lernen im Sinne von "gescheiter und fähiger werden".
Lernkultur?
Diese frühen Erfahrungen ließen bald die Erkenntnis in mir reifen, dass unsere Bildungssysteme generell einer tragfähigen Lernkultur entbehren. Lernkultur verstand ich als eine "Kultur des Lernens" ebenso wie eine "lernende Kultur" - und wenn es gelingt, so eine Kultur zu errichten, dann wird sie auf Lernkunde unmöglich verzichten können.
"Lernkunde" will nichts anderes vermitteln als praktisch brauchbares Wissen darüber, wie wir Menschen lernen - das heißt, was wir tun, wenn wir uns in einem bestimmten Bereich kundiger machen wollen.
Dabei geht es nicht bloß darum, wie Kinder lernen, aber Kinder bieten wohl das fruchtbarste "Beobachtungsfeld", weil sie in den ersten vier bis fünf Lebensjahren im Grunde nichts anderes tun als permanent zu lernen. Fast jedes 6-jähriges Kind ist begierig, in die Schule zu kommen, um noch viel mehr zu lernen. Bei den meisten 10-Jährigen ist - in unserem Bildungssystemen - von diesem Eifer, dieser Begierde und Einsatzbereitschaft kaum etwas übrig geblieben.
Kunde vom Lernen
"Kundig sein" bedeutet ja "im Besitz von Wissen über eine oder Kenntnis zu einer Sache sein". Das Grundwort zum heutigen Adjektiv (Eigenschaftwort) "kundig" ist das ältere (Zeit-) Wort "kund" (verwandt mit "künden"), was früher so etwas wie "bekannt machen", doch eigentlich "zu kennen und zu wissen geben" bedeutete. Heute finden wir dieses Wort nur mehr in Verbindungen wie "Kundmachung" oder "etwas kund tun".
Das Substantiv (Hauptwort) "Kunde" bezeichnet das bekannte Wissen um jene Sache, von der die Kunde handelt, um es als Unterrichtsgegenstand weiter zu vermitteln.
Wir kennen viele mit "Kunde" zusammengesetzte Wörter; z.B. geht es in der "Sachkunde" um sachliches Wissen. Die "Heimatkunde" vermittelt Wissen um die Heimat; die "Warenkunde" vermittelt (in der Ausbildung zum Kaufmann) z.B. Wissen um Handelswaren; "Arzneipflanzenkunde" lehrt uns Wissenswertes um Pflanzen mit Heilwirkung, und so weiter.
(Nebenbei: "Mathematik" heißt wörtlich übertragen auch "Lernkunde", aus dem altgriechischen "mathema techne" – nämlich die "Kunst (etwas) herauszufinden") .
Demnach prägte ich das Wort Lernkunde als Bezeichnung des aus Beobachtung des Menschen gewonnene und, weil allgemein gültig, vermittelbare Wissen über die mentalen (geistigen) Vorgänge beim Lernen, über Anlagen und Kräfte des Menschen, sowie über die geistigen Gesetze, die sein Wachstum an Wissen und Können bestimmen, samt den daraus ableitbaren Regeln für Studium und Unterricht.
Für mich war dabei von wesentlicher Bedeutung, in Lernkunde als Unterrichtsgegenstand ganz klar und verständlich zu definieren, was (nicht nur mit der Fachbezeichnung "Lernkunde", sondern vor allem) mit dem Wort "lernen" gemeint ist.
Übliche Definitionen in zeitgenössischen Wörterbüchern reichen von "sich etwas (als Kenntnis, Fähigkeit, Fertigkeit) aneignen, etwas geistig erfassen, etwas als geistigen Besitz erwerben und im Gedächtnis behalten" (Ullstein Lexikon der deutschen Sprache, 1969 Berlin) bis "sich [in bestimmter Weise] Wissen oder Kenntnisse aneignen", "sich bzw. seinem Gedächtnis einprägen", "Fertigkeiten erwerben" und "im Lauf der Zeit [durch Erfahrungen, Einsichten] zu einer bestimmten Einstellung, inneren Haltung, zu einem bestimmten Verhalten, Handeln gelangen" - DUDEN Deutsches Universalwörterbuch 1983, Mannheim).
Nicht jedes Wörterbuch gibt auch Auskunft über die Herkunft, bzw. die geschichtliche Entwicklung eines definierten Wortes:
An den oben angeführten Beispielen sehen wir, was "die Gesellschaft" zur Zeit der Herausgabe des Wörterbuches unter einem bestimmten Wort verstand. Dem Kundigen ist aber gewiss bewusst, dass sich nicht nur der Wortschatz ganz allgemein, sondern auch die Bedeutungsinhalte der gebrauchten Wörter im Lauf der Zeit verändern. (Betrachten Sie bloß die gewandelte Bedeutung des Wortes „geil“ im Sprachschatz der heutigen Jugend!)
Herkunft und Geschichte
Der Herkunft eines Wortes nachzuforschen wird also allemal dazu beitragen, einen besseren (d.h. stabileren, besser fundierten) Begriff zum Wort zu bekommen.
Befragen wir die Etymologie (Herkunft) des Wortes "lernen", dann finden wir im Grunde heraus, für welche ursprüngliche Idee es geprägt worden ist. Im Mittelhochdeutschen (um 1200, also ungefähr die Zeit des Mittelalters) verwendete man für die Tatsache "ich bin dabei etwas zu erfahren, ich bekomme gerade etwas zu wissen" eine Form des heutigen Wortes "lernen"; man sagte damit also eigentlich: "Ich werde (gerade) wissend". Betrachten wir diesen Gedanken direkt aus der Sicht des Geschehens, dann finden wir heraus, dass wir mit der Personalform "ich lerne" eigentlich sagen "ich werde gescheiter, ich verbessere mich, ich vermehre meine Kenntnisse und Fertigkeiten".
Wir bezeichnen damit also eine individuelle Veränderung in Richtung auf etwas (von einem selbst) Erwünschtes hin. Es sollte offensichtlich sein, dass diese Bedeutung gar nichts darüber aussagt, wie, auf welche Art und Weise, mit Hilfe welcher Mittel, unter welchen Umständen diese Veränderung vor sich geht. Und es sollte auch offensichtlich sein, dass dieses Wort im Grunde keinen Imperativ (keine Befehlsform, "lerne!") kennt.
Einem Kind aufzutragen "lerne!" ist im Grunde genau so unsinnig wie ihm aufzutragen "wachse!", "verdaue!" oder "altere!"
Lernkunde und "lernen"
Die gesamte Lernkunde betrachtet alles mit "lernen" Bezeichnete in dieser "angepassten Urbedeutung" und fasst "lernen" ausschließlich als auf das selbstbestimmt lernende Individuum bezogen auf.
Lernkunde dient also vorrangig dem besseren Verständnis aller Menschen, die mit Lernenden zu tun haben, aber auch dem Lernenden selbst, wenn ihre Erkenntnisse in Erziehung und Unterricht sachgerechten Einzug finden. (Beachten Sie dazu bitte in meinem "pädagogisches Manifest", besonders die Folgen 2, 7 und 8!)
In weiter folgenden Artikeln werde ich schrittweise tiefer in die Materie der Lernkunde eindringen. Ich möchte aber vorausschicken, dass Sie mit allen späteren, auf dieser Einführung aufbauenden, Artikeln möglicherweise auf Schwierigkeiten im Verständnis stoßen werden, wenn Sie die hier behandelten Grundlagen nicht wirklich verarbeitet haben.
Sie würden dann vermutlich mit Begriffen operieren, die aus anderen Quellen - vorrangig aus der modernen "akademischen Psychologie" - stammen und weder mit Lernkultur noch mit Lernkunde kompatibel sind. Deren Definition verhindert den klaren Blick auf eine der natürlichsten Sachen unserer Welt, das menschliche Lernen, aus einem sehr plausiblen Grund, der sich aus dem Selbstverständnis der Psychologie ableitet: Die moderne Psychologie versteht sich als die
"Wissenschaft vom Intellekt, Charakter und Verhalten der Tiere, einschließlich des Menschen."
Der Rolle der modernen Psychologie im Bereich der modernen Bildungssysteme habe ich 1996 die Streitschrift "Spannungsfeld Schule zwischen Lernkultur und Machtmissbrauch" gewidmet. Ihre Lektüre kann sich für Sie durchaus lohnen, wenn Sie Sorgen um den Schulerfolg Ihrer Kinder quälen!
Copyright © von Helmut W. Karl per Datum der Ver